2023 | Petershäger Legenden über die Königin Luise

„… wie ihre feinen Hände so geringe Arbeit getan“

Der Bessel’sche Burghof sah oft hohe Gäste. Die Mindener Schriftstellerin Elise Polko (1823-899) berichtet in ihrer 1875 erschienenen Novelle „Das Schloß an der Weser“ von einem Besuch der Prinzessinnen Luise von Mecklenburg-Strelitz, der späteren Königin Luise, und ihrer Schwester Friederike Caroline, der späteren Königin von Hannover.

Das Leben der Prinzessinnen im Alten Palais am Darmstädter Markt wurde durch häufige Besuche bei den zahlreichen Verwandten aus hessischen und mecklenburgischen Adelshäusern unterbrochen. Im Jahr 1792 sollen die beiden Prinzessinnen unter der Obhut ihrer Großmutter Maria Luise Albertine von Hessen-Darmstadt, die nach dem frühen Tod ihrer Töchter die Erziehung der Enkelkinder übernommen hatte, Petershagen auf der Durchreise besucht haben.

Die sogenannte „Prinzessinnengruppe“ (1795) des Berliner Hofbildhauers Gottfried Schadow (1764-1850), der auch die Quadriga auf dem Berliner Tor geschaffen hatte, zeigt die beiden Schwestern drei Jahre nach der Zeit des legendenumwobenen Aufenthaltes in Petershagen.

Zu jener Zeit war der Geheimrat August Moritz Samuel Ehrenreich von Bessel (1737-1803) Besitzer des Bessel’schen Hofes. Er soll – nach Elise Polko – ein Freund des verstorbenen Georg Wilhelm von Hessen-Darmstadt, dem Gemahl der Landgräfin Maria Luise Albertine, gewesen sein. Überdies erinnerte gerade am Tage des Besuches ein Fest auf dem Schlosse an die Übernahme des Landes durch den Großen Kurfürsten. „Ja, es war die Landgräfin von Hessen, mit Ihren beiden Pflegebefohlenen, den mecklenburgischen Prinzessinnen Luise und Friederike, die, von Hannover kommend, auf der Reise nach Frankfurt begriffen, einen vertrauten Freund des verstorbenen Gemahls, den Kammerherrn von Bessel, aufgesucht hatte. Die Gestalt der kaum siebzehnjährigen Prinzessin erschien elfenhaft schlank und von hinreißender Grazie getragen. Das Antlitz, das unter dem breit geräderten Hute damaliger Mode hervorschaute, war von einer heiteren Lieblichkeit ohnegleichen und der Blick der großen tiefblauen Augen kindlich und froh und schwärmerisch zugleich.“

Elise Polko entfaltet zu Beginn ihrer Novelle einige Episoden, die den Luisenlegenden zuzuordnen sind und die trotz ihrer Sentimentalität auch heute noch anzurühren vermögen: So lesen wir von der alten Spökenkiekerin, die Luise die Ehe mit einem König prophezeit, wir hören vom strahlenden Tanz der Prinzessinnen auf dem Schlossball und vom heimlichen Besuch Luisens bei den in der Schlosskapelle schlummernden Kindern des Amtmannes. Die Witwe des im Städtchen betrauerten Seelsorgers Georg Heinrich Westermann bittet Luise um die auf dem Ball zertanzten Schuhe und stellt diese in einer Vitrine ihrer Stube aus: „Mein Knabe hat der durchlauchtigsten Prinzessin voll Staunen zugeschaut, wie ihre feinen Hände so geringe Arbeit getan, und da möchte ich gern ein paar von den weißen Schuhen mir für seine zukünftige Braut erbitten, die müssen Segen in’s Haus bringen.“

Auch wenn die Details dieses Besuches nur der Fantasie der Novellistin Polko entsprungen sind, so belegt noch heute ein Schmuckblatt aus dem 19. Jahrhundert die Tradition der Luisenverehrung in Petershagen.

(Uwe Jacobsen 2010)

Elise Polko (1823-1899)
Luisen-Legenden

Textauszug aus: Das Schloss an der Weser

Legende 4
„Die Wohltäterin der Kinder“

Es war in einer längeren Pause, als die Prinzessin Luise, am Fenster stehend, zu ihrem Erstaunen droben in der verfallenen Kapelle Licht schimmern sah. Auf ihre verwunderte Frage erzählte man ihr, dass dort die kleinen Töchterchen des Amtmanns in Sicherheit gebracht worden seien, vor dem Geräusch des Festes. Und wenige Minuten später – die Menge drängte sich oben um die Büfetts – gewahrte wohl niemand, wie eine verhüllte Frauengestalt eiligen und leichten Schrittes über den Hof schlüpfte. Sie huschte die Stufen zur Kapelle hinauf. Die Tür war nur angelehnt. Eine Nachtlampe brannte, aber keine Wächterin saß an den kleinen Betten der schlafenden Kinder. Sie war hinüber gelaufen, um sich den Tanz und die vornehmen fremden Herrschaften anzusehen. Da legten denn weiße Hände Bonbons und allerlei Naschwerk von den reich besetzten Tischen des Speisesaals auf die Decken der Schlummernden, dann hoben sie den Schirm der Nachtlampe ein wenig empor, dass der Schein die Kindergesichter traf. Welch‘ Bild süßesten Friedens, lieblicher Unschuld! Wie die runden Wangen glühten, wie leise und sanft der süße Atem ging. Das junge Mädchen, das in die Kapelle getreten war, setzte sich – ergriffen von diesem Anblick – auf den Bettrand der kleinsten Schläferin. Unwillkürlich faltete sie die Hände. Das verhüllende Tuch war herabgesunken. In ihrem weißen Kleide, Rosen in den halbgelösten Locken, in dieser seltsamen Umgebung, der Wölbung einer verlassenen Kapelle, glich sie, mit diesem Blick der innigsten Zärtlichkeit, einem Schutzengel. In fromme Gedanken verloren, blieb sie an dem Bettchen sitzen – sie wollte warten, bis die Wächterin wiederkam. Wie aus weiter Ferne drangen die Töne der Tanzmusik herüber, wie süß erschien ihr dieses Versteck, wie heilig dies Asyl. Sie begriff nicht, wie sie noch eben so lustig hatte tanzen können. Hier war’s doch viel schöner! Welch‘ ein süßes Kindergesicht! Tief und tiefer neigte sich das schöne Wesen über das schlafende Kind. Da öffneten sich plötzlich zwei große dunkle Augen: die kleine Else erwachte. Halb verwundert, halb lächelnd schaute das Kind auf. Dann streckte es die runden Arme verlangend aus und fragte: „Bist Du das Christkindchen?“ In demselben Augenblicke knarrte die Tür – die alte Magd trat leise ein. Wie festgewurzelt blieb sie auf der Schwelle stehen beim Anblick dieser leuchtenden Stellvertreterin. Die holdselige Erscheinung aber legte den Finger auf die Lippen, erhob sich rasch und deckte den Schirm wieder über die Lampe. Noch einen Blick auf das erregte Kindergesicht, noch einen Kuss auf die reine Kinderstirn – und die Kapelle war dunkel und leer.

Else aber glühte wie im Fieber, wollte nicht wieder schlafen und wiederholte immer und immer: “ Ich habe das Christkindchen gesehen; es hat mir schöne Sachen gebracht! Ob es zu Weihnacht auch wiederkommt?!“

Legende 5
„Die königlichen Majestäten“

Jene kleinen Atlasschuhe, die in dem Glasschrank der Pfarrerswitwe standen, waren während dieser langen Zeit die einzige sichtbare Erinnerung an den Besuch der holdseligen Prinzessin Luise im alten Schloß an der Weser. Erst im Jahre 1799 erschien sie leuchtend wie ein Stern, bei Gelegenheit eines großen Manövers, als Königin von Preußen noch einmal in dem stillen Wesertale. O, wie sie sich noch jenes heiteren Sommertages erinnerte!

Am Arme des Königs besuchte sie das alte Schloss,  die Kapelle, das weiße Landhaus unter den Bäumen und sogar das kleine Stübchen der Witwe. Lachend erzählte sie dem hohen Gemahl die Geschichte der kleinen weißen Schuhe im Glasschrank, die die Pfarrerin mit Stolz zeigte. Das war der letzte Glanztag des alten Schlosses. Da wimmelte es im Schlosshofe von prächtigen Uniformen und eine Unmasse Volks strömte herbei, um die Massen der Soldaten, die vielen vornehmen Fremden und vor allem den geliebten König und die schöne Königin zu sehen. Das glückliche Königspaar sah man meist auf der Terrasse des Schlosses in traulichem Gespräche auf- und niedergehen. Die kleinen Schläferinnen aus der Kapelle streuten Blumen und die hohe Frau umarmte die Kinder voll mütterlicher Zärtlichkeit. „Ich habe jetzt auch kleine fröhliche Kinder daheim und ich freue mich so sehr auf sie“, erzählte sie ihnen mit einem Lächeln, unendlich strahlender und glückseliger, als das Lächeln jener jungen fröhlichen Prinzessin, die damals in kleinen selbstüberzogenen weißen Schuhen im Saale des alten Schlosses an der Weser tanzte.

 

Die Prinzessinnengruppe ist eine Skulptur des Bildhauers Gottfried Schadow (1764-1850). Sie stellt die preußische Kronprinzessin, die spätere Königin Luise, zusammen mit ihrer jüngeren Schwester Friederike dar. Das Doppelstandbild gilt heute als ein Hauptwerk des Berliner Klassizismus. Das Bild zeigt die Gruppe in der Gipsausführung (heute Schinkelmuseum in der Friedrichswerder’schen Kirche Berlin). Eine Replik befindet sich in der Hohenzollernstraße in Hannover. (Wikimedia

Luise von Preußen im Jahr 1798, ein Jahr vor ihrem Besuch in Petershagen. Porträt (Oval) von Johann Heinrich Wilhelm Tischbein (1751-1829). (Wikimedia)

Elise Polko (1823-1899): Das Schloß an der Weser. Titelseite der Erstausgabe aus dem Jahr 1867 mit vorangestellter Vignette „Allegorie der Künste“. (Sammlung Uwe Jacobsen)

Allegorisches Schmuckblatt mit Schloss Petershagen und Medaillon der Prinzessin Luise von Mecklenburg-Strelitz, der späteren Königin Luise von Preußen. Das Datum oberhalb des Medaillons (24. April 1793) gibt den offiziellen Verlobungstermin der beiden Prinzessinnen von Mecklenburg-Strelitz mit den Prinzen Friedrich Wilhelm und Friedrich Ludwig an. Die Verlobung der beiden Paare wurde am 24. April 1793 in Darmstadt gefeiert, die Doppelhochzeit fand am 24. und 26. Dezember des gleichen Jahres in Berlin statt. (Sammlung Uwe Jacobsen)