2022 | Petershagen Nr. 99 - das Jüdische Gemeindehaus wird Kinderschule
Das jüdische Gemeindehaus in der Fährstraße Nr. 8 dient im 19. Jahrhundert als Lehrerwohnung und Mietshaus. Pläne zur Einrichtung einer Schule (1878) werden nicht verwirklicht. 1898 zieht hier der Kindergarten ein. In der Zeit von 1903-1909 gehört Dr. Moritz Oppenheim von Seiten der jüdischen Gemeinde dem Kuratorium an. Eine Schenkung Israel Lindemeyers, des langjährigen Vorsitzenden der jüdischen Gemeinde, belegt eindrücklich „ohne Rücksicht auf die Konfession“ das besondere Engagement der jüdischen Familien für die pädagogischen Einrichtungen in der Stadt.
Das Ackerbürgerhaus unter der Hausnummer 99 bot zwei Mietparteien Platz und kam als Dienstwohnung für Kultusbeamte und verheiratete Lehrer zum Einsatz. Leider finden sich in den Quellen keine Hinweise darauf, wann die Gemeinde dieses Gebäude erworben hat. Allein die Verwaltungsvorgänge zur Verlegung des Klassenzimmers 1878 weisen mehrfach auf die jüdische Immobilie hin. Sie markiert den Beginn der Vorschularbeit in unserer Stadt.
Pfarrer Heinrich Richter verfolgt seit 1896 die Idee, die öffentliche Kleinkindererziehung in Petershagen in der Form einer Kinderschule, sprich Kindergarten, voranzutreiben. Die Kirchengemeinde Petershagen erwirbt am 22. Februar 1898 das Haus Fährstraße Nr. 99 nebst Hofraum für einen Kaufpreis von 6000 Mark. Die Gemeinde zahlt die eine Hälfte der Kosten an den Maurer Wilhelm Lohaus, der diese Immobilie erst kurz zuvor erworben hat, während sie die andere Hälfte, deren Bezahlung durch den Besitzer noch aussteht, der Synagogengemeinde zukommen lässt. Lohaus verstirbt offenbar kurz nach dem Kauf des Anwesens, sodass dessen Witwe die Veräußerung abwickelt. Die Kirchengemeinde errichtet die Kinderschule als zweisaaliges Gebäude, das an das Wohnhaus Nr. 99 nach Süden hin anschließt und seinerseits Räumlichkeiten für die Gemeindeschwester bereitstellt. Die Kinderschule zieht 1899 in die Fährstraße Nr. 8 ein, nachdem ein privates Kuratorium die Besitzung unter den von der Kirchengemeinde offerierten Bedingungen am 19.12.1898 übernommen hat. Knapp 60 Jahre später wird der in der Zwischenzeit baufällig gewordene vordere Gebäudeteil abgebrochen. Der Kindergarten zieht am 18. September 1957 in den Neubau am Scheunenweg um. (Quelle: Jacobsen, Uwe: Schule und Synagoge. Petershagen 2022, S. 252 ff.)
Links
Das Mindener Tageblatt berichtet am 08.06.2022: „Mehr als eine Lehranstalt. Neue Erkenntnisse zur jüdischen Schule.“
Postkarte um 1912. Oben: Die Kinderschule von der Fährstraße aus gesehen mit Blick in Richtung Südwesten. Unten: Blick von der Weserpromenade nach Westen auf den Spielplatz. Seitenkopf: Postkarte 1908: Schulkinder.
Im ehemaligen Regierungsbezirk Minden sind nach der Enquete des Jahres 1845 nur Lehrerwohnungen in Minden und Oldendorf ausgewiesen. Petershagen besitzt nach regionalen Quellen seit 1844 eine Lehrerstube.