Stadtrundgang Petershagen
Station 04 - Königliches Lehrerseminar
Zu Beginn der siebziger Jahre des 19. Jahrhunderts bewirkten die Lehrerbildungsfrage und der große Mangel an Volksschullehrern einen Ausbau des Seminarwesens in Preußen. Der Neubau des Königlichen Schullehrer-Seminars Petershagen, das am 18. November 1885 eingeweiht wurde, resultierte aus dem Erfolg der regionalen Lehrerausbildung. Als Baugelände bot sich die Freifläche des Vethake’schen Burgmannshofes an, der schon 1851 von dem Institut bezogen worden war.
Das Königliche evangelische Schullehrer-Seminar Petershagen gehörte neben den Instituten in Büren, Hilchenbach, Soest und Warendorf zum Kernbestand der fünf älteren Lehrerseminare in Westfalen. Im Verlauf des 19. Jahrhunderts kamen sechzehn weitere Institute hinzu. Nur vier der Ausbildungsorte verfügten wie das Seminar in Petershagen über ein Internat. Nach der Gründung des „Kleinen Seminars“ im Jahr 1792, das im Zweiten Pfarrhaus unter der Leitung des reformpädagogischen Theologen Georg Christoph Friedrich Gieseler (1760-1839) tagte, folgten dieser Einrichtung drei Standorte in der Altstadt von Petershagen.
Das Seminar in Petershagen spiegelte mit seiner äußeren und inneren Gestaltung und mit seinem funktionellen Grundriss das Selbstverständnis der preußischen Bildungsreform wider. Es konnte in der Mitte des 19. Jahrhunderts bereits auf drei Standorte in Petershagen sowie eine Präparandenanstalt, die erste in Preußen, zuruckblicken.
Ein Ministerialerlass vom 11. Januar 1878 regelte die räumliche Ausstattung der Seminarbauten in der Form von „Normalprogrammen“ fur Internats-, Externats- und gemischte Anstalten sowie fur Lehrerinnenseminare. Im ersten Stockwerk gruppierten sich um das Zentrum der direktoralen Verwaltung, die sich hinsichtlich der Ausgestaltung von den anderen Räumen abhob, die Dienstwohnung des Direktors und die naturwissenschaftlichen Räume. In Übereinstimmung mit den damals neuen Lehrplanbestimmungen wiesen sie aufsteigende Bankreihen und Experimentiertische fur den Physik- und Chemieunterricht auf. Direkt uber der Direktorenwohnung befand sich in der westlichen Gebäudehälfte auch die Wohnung des „Oberlehrers“, der diese Amtsbezeichnung infolge einer Beförderung trug.In der Hauptachse der Vorderseite überhöhte die repräsentativ ausgestattete Aula im Verbund mit den künstlerischen Lehrräumen das Seminargebäude. Sie besaß zur Durchführung von Feierlichkeiten, Versammlungen und religiösen Veranstaltungen eine Konzertorgel, die vermutlich von der renommierten Orgelbaufirma Eberhard Friedrich Walcker (Ludwigsburg) erbaut worden war. Auf der Gebäuderuckseite legte man die Räume im ersten und zweiten Stockwerk als Unterrichtsräume fur Seminarklassen (Südhälfte) und Studierstuben (Nordhälfte) an.
Das Kellergeschoss beherbergte schließlich die Wohnräume des Ökonomen und seines Gesindes, die Anstaltskuche mit den erforderlichen Vorratsräumen und vor allem den zentralen Speisesaal. Die Seminarlehrer nahmen ihre Mahlzeiten nicht gemeinsam mit den Seminaristen ein. Ihre Wohnungen besaßen separate Kuchen und Unterkünfte fur die Hausmädchen.
Das Petershäger Seminar legte besonderen Wert auf die Musikausbildung. Neben Aula und Musiksaal befanden sich eine Reihe von Übungsinstrumenten, Klaviere und Kleinorgeln, in weiteren Musikzellen. Aus heutiger Sicht erstaunt die Raumplanung: Die Seminar-Übungsschule (Volksschule) im Erdgeschoss war neben Lehrerzimmer und Bibliothek fur fünf Klassen mit 56 Schülern nebst 30 Hospitanten ausgelegt. Es konnten sich also in Spitzenzeiten weit über 400 Personen im Erdgeschoss aufhalten.
Seminardirektor Feige weihte am 18. November 1885 das neue Gebäude des Königlich-Preußischen Lehrerseminars Petershagen ein. In seiner Eröffnungsrede führte er, indem er in der Schulaula auf die Büsten von Melanchthon, Luther, Franke und Pestalozzi verwies, aus: “Und dort Heinrich Pestalozzi, von dem soviel geredet ward in der Lehreranstalt, und dem wir soviel verdanken. Ich kann nicht alles sagen: Der Pestalozzi, der in Stanz war, der ist mir der liebste; der Pestalozzi, der in Stanz war, war nur der Mann, der seine ganze Schar von Waisen und verlassenen Kindern in einem Gebäude untergebracht, das ihm die Regierung dazu gegeben hatte, und der nun hier mit diesen Kindern lebte und diese Kinder erzog und sie unterrichtete ganz allein. Er schreibt selbst darüber an einen Freund, er habe diesen alles sein müssen: Vater und Mutter. (…)
Das war ein Mann der Liebe, ein Lehrer der Liebe, dieser Heinrich Pestalozzi. Aus tiefem Herzen voll Liebe ist ja sein Gedanke entstanden, die gesunkene Menschheit wieder zu heben, durch Regeneration von innen heraus, durch den Unterricht, und diesen Gedanken hat er festgehalten trotz alles Hohnes, Spottes, trotz aller Verachtung, trotz alles Schadens, den er daran gehabt. Er hat die Arbeit seines Lebens darauf verwendet (…) Nun diese beiden, August Hermann Franke und Heinrich Pestalozzi, die stellen uns die Aufgabe: dahin wirkend, daß aus Eurem Seminar Lehrer hervorgehen, die ein Herz voll Liebe haben zu unserm Volke, die ein Herz voll Liebe haben zu den Kindern unseres Volkes und zu allermeist ein Herz voll Liebe haben zu den armen und elenden Kindern! (Geheimes Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz Berlin, Texttranskription Verena Jacobsen 2015)
Uwe Jacobsen (Ortsheimatpfleger)
Bildquelle: Architekturmuseum der Technischen Universität Berlin. Inv. Nr. 33150-33153 Grundrisse Keller, Erdgeschoss, 1. Stockwerk, 2. Stockwerk.