2021 | Eine Orgel geht auf Reisen
Nicht ganz ein halbes Jahrhundert versah die Kleuker-Orgel in der Petrikirche Petershagen ihren Dienst in Sonntagsgottesdiensten und Abendmusiken. Am Wochenanfang wanderten nun alle beweglichen Teile der Orgel, 1392 Pfeifen, drei Windladen, Abstrakten, Kondukten und Pulpeten, mit Ausnahme des im Innenraum hellblau getönten Gehäuses, einem Markenzeichen Kleukers, das „geplündert“ in der Kirche verblieb, zu einer Generalüberholung in die Werkstatt der Leverner Orgelbaufirma Johannmeier.
Der Autor dieser Zeilen begleitete in den Jahren 1976/77 als junger Orgelstudent und nebenberuflicher Organist den damaligen Kirchenmusikdirektor Edmund Kreß bei den vorbereitenden Planungen rund um den Orgelneubau in Petershagen. Im Zuge der von 1969-71 erfolgten Kirchenrenovierung dauerte es einige Jahre, bis das Geld für den Neubau angespart war. Die Gemeinde erwarb zunächst ein kleineres Instrument der Firma Gustav Steinmann (fünf Register, geteilte Schleifen, angehängtes Pedal), das von 1971-1977 seinen Dienst für sechs Jahre auf der rechten Seite des Altars versah und dann in der Friedhofskapelle installiert wurde.
Nach anfänglichen Überlegungen, den Neubau mittig auf der Empore um das gotische Maßwerkfenster herum zu positionieren, entschied sich das Presbyterium auf Wunsch von Chor und Posaunenchor, die zu jener Zeit ein aktives Gemeindeleben mit großem Personenstamm pflegten, für eine seitliche Positionierung im nördlichen Kirchenschiff. Der Verzicht auf Symmetrie hatte zur Folge, dass nun auch die beiden Werke der Orgel, Hauptwerk und Rückpositiv, in ihrer Anordnung bewusst auf Symmetrien verzichteten, um die Abkehr von diesem Prinzip auf die Spitze zu treiben.
Die Orgelweihe erfolgte am 12. Juni 1977. Die Firma Detlef Kleuker (Brackwede), die mit dem Neubau beauftragt worden war, exportierte in diesem Jahr auch zwei Orgelwerke nach Hongkong. Eines war im Rahmen eines Besuches in Brackwede noch vormontiert in der „Hölle“ zu bestaunen.
Die Disposition von Prof. Arno Schönstedt (1913-2002) folgt norddeutschen und hanseatischen Vorbildern und treibt diese auf die Spitze. Ein überaus üppiges Pedal sowie ausgesprochene Charakterregister (Rauschbaß, Nachthorn, Pommer oder Spillpfeife) verleihen diesem Instrument seinen individuellen und expressiven Klangcharakter. Das dreifach geschweifte Orgelpedal, ein Novum in den 1970er-Jahren, sorgte für kontroverse Diskussionen unter den Organisten. Kleuker setzte auf die Verwendung zeitspezifischer, moderner Materialien, etwa Aluminiumventile, Kunstleder und Schaumgummi, ein Umstand, der auch zum Export von Orgeln in subtropische Regionen führte und sich im feuchten Weserklima bewährt hat.
Klang und Spielfreude werden nun aber nach einem halben Jahrhundert durch Materialverschleiß und Verunreinigungen beeinträchtigt und machen eine Generalüberholung trotz der robusten Konstruktionsweise erforderlich. Die Arbeiten in der Werkstatt Johannmeier, die auf die Bewahrung des ursprünglichen Konzeptes setzen, werden etwa ein Vierteljahr in Anspruch nehmen und gegen Ostern erledigt sein. (Uwe Jacobsen, Januar 2021, in tempore corona)
Internetauftritt der Orgelbaufirma Johannmeier
Wikipedia: Orgelwerke der Firma Detlef Kleuker
Wikipedia: Prof. Arno Schönstedt (1913-2002)
Klangbeispiele der Kleuker-Orgel in der Petrikirche (Dezember 2020)
Ortsheimatpflegerische Materialien der Orgelweihe 1977
Zur Geschichte der Orgeln in der Petrikirche von Petershagen
Mindener Tageblatt am 28.05.1977: Zahlreiche Spenden für den Orgelbau. Am Sonntag, 12. Juni, wird im Vormittagsgottesdienst in der Petri-Kirche die neue Klenker-Orgel eingeweiht. Um 20 Uhr findet eine Abendmusik statt, in der Prof. Schönstedt (Orgel) und die Jugendkantorei der Mariengemeinde Minden mitwirken. In letzter Zeit sind zahlreiche Spenden für den Orgelbau eingegangen, in der letzten Woche allein 1590 DM.
Mindener Tageblatt am 09.06.1977: Am Sonntag, 12. Juni, wird in der Petri-Kirche die neue Orgel eingeweiht Nach sieben langen Jahren der Beratung und Planung hat das Presbyterium im September vergangenen Jahres den Bau einer neuen Orgel beschlossen. Das alte Instrument, im Jahre 1845 eingeweiht, war bei der großen Renovierung der Kirche 1970/71 aus verschiedenen Gründen ausgebaut worden.
Mindener Tageblatt am 20.03.1981: Orgelpfeifen fanden Liebhaber. Diebstahl von fünf Pfeifen unterschiedlicher Bauart aus der Kleuker-Orgel. Eine Holzpfeife von 40 cm Höhe, eine Kupferpfeife von 28 und drei Zinnpfeifen von 25,35 und 55 cm. Der Dieb wurde nicht gefasst.
Mindener Tageblatt am 23.02.2021: Die Lokalredaktion berichtet von der Renovierung der Kleuker-Orgel. Link >> Zum Artikel