1886 | Das Leben im Lehrerseminar Petershagen
Internat und Externat (1886)
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Die pädagogische Diskussion über die Frage, ob die Lehrerseminare in Preußen als „Internate“ oder „Externate“ eingerichtet werden sollten, begleitete die Lehrerausbildung bis zum Ende des 19. Jahrhunderts. Der Seminarlehrer Schumann resümierte 1875 auf dem Seminarlehrertag: „Die Seminarinternate sind weder als mustergültige Einrichtungen, noch als Hemmnisse gesunder Lehrererziehung anzusehen; sie sind vielfach geboten, um die Kosten der Lehrerbildung [für die Absolventen] zu vermindern.“
Im Hinblick auf die Seminarpraxis in Petershagen formulierte Friedrich Vormbaum 1849 in den Protokollen der Berliner Direktorenkonferenz, „daß die Internate allerdings das Gemüthsleben und seine freie, fromme Entwickelung benachtheiligen. Dagegen geben die Externate Gelegenheit zu allerlei unzeitigen Bekanntschaften, die den Seminaristen nicht allein in seiner Arbeitslust und Arbeitsfähgkeit brechen, sondern auch sein künftiges Lebensglück bedrohen. Zugleich machen sie den Direktor zu einem unfreiwilligen Polizei-Aufseher, während er in dem Internate seine Inspection auf die natürlichste Weise ausübt. Hauptsächlich aber fühle er sich gedrungen für die Internate zu reden, weil sie allein die unmittelbare, erziehende Einwirkung der Seminarlehrer auf die Zöglinge allein sichern können.“
In der Praxis entschied sich die Seminarleitung in Petershagen zu einer Mischung aus Internat und Externat. Vormbaum berichtete 1856: „Das Seminar zählt jetzt in der ersten Classe 26, in der zweiten 15 und in der dritten 19, also im Ganzen 60 Seminaristen. Von ihnen wohnen [24 im Ort] und 36 im Seminargebäude, welche in vier geräumigen Wohnstuben und sieben Schlafkammern vertheilt sind und außerdem die Lehrstuben zum Arbeiten benutzen können. Die im Seminarhause [dem späteren Logierhaus] Wohnenden haben Wohnung, Feuerung, Licht, Betten, Bettwäsche und Claviere zum Üben frei; jeder erhält daneben einen verschließbaren Schrank zur Aufbewahrung seiner Bücher und anderen Sachen. Kleiderstöcke und Schränke sind auslangend vorhanden. Das in früheren Jahren gezahlte Eintritts- und Wohnungsgeld ist schon seit längerer Zeit aufgehoben. Die Seminaristen essen je zu 3, 4 oder 5 in guten Bürgerhäusern. Der Director ermittelt diese Kosthäuser und weiset sie den Zöglingen an, auch verhandelt er selbst mit den Kostwirthen, so daß die Seminaristen in dieser Beziehung durchweg von ihm vertreten werden.“
Im Zuge des Neubaus des Preußischen Lehrerseminars wurde 1885 auch der Vethake‘sche Hof überbaut und mit einem zusätzlichen Stockwerk versehen, sodass nun 60 Seminaristen und ein Hilfslehrer Wohnung finden konnten. Das Gebäude beheimatete nach der Seminarschließung 1925 zunächst die Jugendherberge, die man später bis 1933 in das Nebengebäude verlegte. Nachdem in der Zeit des Nationalsozialismus erst der Reichsarbeitsdienst (1933), dann der weibliche Arbeitsdienst (1937) eingezogen waren, schloss sich in der Nachkriegszeit das Internat der Aufbauschule an. Man brach das Logierhaus im Rahmen der Schulerweiterung 1976 ab. Es wäre heute – in Gesellschaft mit dem Neuen Seminar (1885) – ein Denkmal von hohem Rang.
Heinrich Angermann erinnert an das Leben im Seminar (1911)
Wir wohnten im Internat, im Kasten, wie das Gebäude genannt wurde, weshalb denn der Kastenbewohner Noah als der erste Seminarist gefeiert wurde. Die Stuben sahen kasernenmäßig aus. An den Wänden standen die Spinde, die unsere ganzen Habseligkeiten enthielten: Kleider, Wäsche, Bücher. Vor den drei Fenstern – zwei an der Nordseite, eins an der Westseite – standen vier quadratische Tische, an denen wir zu je dreien saßen. Für die Bewohner der sechs Stuben waren drei Schlafsäle und drei Waschräume vorhanden. Im östlichen Teil des Erdgeschosses war eine Seminarlehrerwohnung.
Der Unterricht fand in einem besonderen Schulgebäude statt, in dessen Kellergeschoss die Küche und der Speisesaal wie auch die Wohnung der Köchin war, im erhöhten Erdgeschoss die Übungsschule und das Lehrerzimmer, im 1. Geschoss die Unterrichtsräume für die drei Seminarklassen und die Direktorwohnung und im 2. Geschoss die Aula, der Musiksaal, der Zeichensaal und ein oder zwei Musikzellen mit Klavier. Die Verpflegung war nach meiner Meinung gut, schmackhaft und ausreichend. Am Sonntag gab es sogar Pudding zum Nachessen und an Kaisers Geburtstag eine Flasche Wein für zwei Personen. In [der Präparande] Schildesche hatten wir die Betten selbst mitbringen müssen, hier schliefen wir unter Decken, die dem Königlich-Preußischen Schullehrerseminar gehörten, zwar im Winter auf dem großen Schlafsaal nicht gerade mollig warm, aber es ist niemand erfroren oder auch nur krank geworden. Ein etwas spartanischer Zug im Preußentum ist ja nicht zu verkennen.
Fotos (von oben nach unten und links nach rechts): A. Ansichtskarte um 1900, Seminar und Logierhaus mit Nutz- und Obstbaumgarten. B. Eine Seminaristenstube im Logierhaus von Petershagen. Auf den Schränken befinden sich sechs Geigenkästen. C. Seminaristen vor dem Oberlehrerhaus (links) in der Bahnhofstraße Petershagen. D. Seminaroberlehrer Lindemann mit zwei Seminaristen in der Übungsschule. E. Maturitas (Ende des dreijährigen Kursus) um 1910. F. und G.: Umbau des Logierhauses am Lehrerseminar Petershagen (1883-87), Geschossquerschnitte und Aufrisse.
Quellen: Sammlung der Ortsheimatpflege Petershagen, Koop, Heiner: Das niedere Schulwesen im Altkreis Lübbecke, 1988, Textzitat S. 246, Bildquelle S. 247. Die Architekturzeichnungen des Lehrerseminars Petershagen stammen aus dem Architekturmuseum der Technischen Universität Berlin. Oben: Inv. Nr. 33162: Umbau des alten Seminargebäudes: Grundriss Keller, Erdgeschoss, 1. und 2. Obergeschoss 1:100. Unten: Inv. Nr. 33163: Umbau des alten Seminargebäudes: Aufriss Vorderansicht, Seitenansicht, Längsschnitt, Querschnitte 1:100) (Jac)