2022 | Kreuzkirche und Mühlenstätte (1243)
Beiträge zur Geschichte Petershagens
Gesammelt von Friedrich Daake
Das Kirchspiel Petershagen, welches aus der Stadtgemeinde Petershagen und den vier benachbarten Dörfern Eldagsen, Maaslingen, Meßlingen und Südfelde besteht, wird von Anfang an der Präpositur St. Martini zugeteilt gewesen sein, wenigstens ist solches für die „Capella S. Crucis“ in Hokelve, dem Ursprung von Petershagen, durch eine Urkunde vom 7. November 1243 sichergestellt, in welcher sich der Praepositus Wernherus von St. Martini ausdrücklich als „archidiaconus in Hokelve“ bezeichnet.
Diese Urkunde, in lateinischer Sprache geschrieben, ist sowohl wegen ihres Alters, als auch wegen ihres Inhalts für die Petershäger Kirchen- und Ortsgeschichte von besonderer Bedeutung, weshalb es angebracht erscheint, sie hier in deutscher Uebersetzung folgen zu lassen:
Johannes, von Gottes Gnaden Bischof von Minden, Th(idericus), Propst, G(iselbertus), Dekan, W(ernherus), Propst von St. Martin und Archidiakon in Hokelve, und das ganze Kapitel derselben Kirche (bieten) allen Getreuen Christi, die dieses Schriftstück sehen werden, ewiges Heil im Herrn. Da die dem Gedächtnis feindliche Vergessenheit das, was die Menschen tun, zu begraben pflegt, so scheint und ist es nötig, daß das, was in der Zeit geschieht, durch Schriftstücke (Urkunden) verewigt werde. Deshalb wünschen wir, daß sowohl den Jetztlebenden als auch den Zukünftigen bekannt sei, daß der Ritter Thidericus (Dietrich) von Ekessen, Dienstmann unserer Kirche, nachdem er unsere Zustimmung nachgesucht und erhalten, die Kapelle in Hokelve, genannt zum heiligen Kreuz, zu Ehren des Gekreuzigten und zur Nachlassung seiner Sünden(strafen) mit einer halben Hufe, in dem Dorfe gelegen, die er mit seinen eigenen Denaren erworben hat, samt einer Mühlenstätte, die bei der Furt desselben [derselben Güter] Gütern sich anschließt, mit dem 9. Theile (der Einnahme aus) der genannten Furt (und) einer halben Hufe, die zum (Herren- oder bischöflichen) Hofe in Hokelve gehört, und von der der Priester, der dort die Messe liest, jährlich 6 Schilling erhalten soll, beschenkt hat, jedoch so, daß der Mutterkirche desselben Ortes daraus kein Nachteil erwachsen wird. Außerdem hat er sein (angeerbtes oder Heirat-?) Gut mit dem Landbesitz des Priesters, auf der anderen Seite des Pfarrhofes ebenso viel Flächenraum zurücklassend, umgetauscht. Und damit dieses (rechts-) gültig und unangetastet bleibe, haben wie vorliegendes Schriftstück durch das Schutzmittel unserer Siegel bekräftigen zu müssen geglaubt. Verhandelt (Geschehen) ist dies im Jahre des Herrn 1243, am siebenten Tage vor den Iden des November (7. 11).
Die Urkunde findet sich gedruckt bei Würdtwein (Subsidia diplomatica. IV. S. 411) und bey Hoogeweg (Westfälisches Urkundenbuch VI. II. Nr. 398), als Abschrift des 14. Jahrhunderts in Msc. VII. 2401. S. 55 und als Regest in Msc. II. 189, Nr. 618 im Staatsarchiv zu Münster.
Weitere Bemerkungen zu der Urkunde:
a) in Bezug auf die in derselben genannten Personen.
1) Bischof Johannes stammte aus der Familie der Grafen von Diepholz und regierte von 1242-52.
2) Theodoricus oder Dietrich de See war Dompropst von 1238-50 und besaß Güter in Herlethe (Harlhöfe) bei Windheim.
3) Giselbertus war Domdechant oder Dekan etwa von 1240-47.
4) Wernherus war Propst oder Vorsteher des Stifts St. Martini von 1223-47, zugleich Archidiakon in Hokelve.
5) Dietrich von Ekessen war nach Wippermann (Beschreibung des Bukkigaues S. 403) Mindischer Truchseß. Als solcher führte er die Aufsicht über den Haushalt des Bischofs, auch hatte er bei besonderen Festlichkeiten die Schüsseln aufzutragen und die Speisen zu zerlegen.
b) in Bezug auf den sachlichen Inhalt.
Die Ausstattung der Kapelle bestand zunächst aus einer halben, im Dorfe Hokelve gelegenen Hufe Landes, die Dietrich von Ekessen für sein eigenes Geld (seine eigenen Denare) erworben hatte und darum sein volles Eigentum bildete, worüber er frei verfügen konnte, sodann aus einer Mühlenstätte, die am Wasser (bei der nahem Furt?) mit seinen Gütern in Verbindung stand (seinen Gütern sich anschloß). Hierunter haben wir uns meines Erachtens eine Schiffsmühle auf dem Weserstrom zu denken, wie sie zu seiner Zeit, wo es noch keine Windmühlen gab, überall an passenden Stellen bei den an den Flüssen liegenden Ortschaften zu finden waren. Die Mühlen ruhten auf kleinen Schiffen (Kähnen), welche durch Querbalken mit einander verbunden und im Wasser verankert waren, damit sie von der Strömung des Wassers nicht fortgetrieben werden konnten. Bei Hochwasser und Eisgang wurden sie in den Hafen, wenn ein solcher vorhanden war, oder sonst an einen sichern Ort gebracht. Da die Nutzung der Gewässer meist dem Landesherrn gebührte, so dürfte die in Rede stehende Mühle eine bischöfliche gewesen sein, die Dietrich von Ekessen bisher zu Lehen getragen hatte, und die er jetzt zu Gunsten der Kapelle wieder abtrat. Der Ort, wo wir dieselbe zu suchen haben, wird etwas nördlich der schon 784 genannten Furt (der jetzigen Fähre) gelegen haben. Hier lagen auch in der Folgezeit die zum Schlosse gehörenden Schiffsmühlen, während die von Besselschen, welche mit obrigkeitlicher Genehmigung erbaut waren, sich oberhalb der Fähre befanden. Drittens beschenkte Dietrich von Ekessen die Kapelle mit dem 9. Teile des Wassers, womit wohl die Weser gemeint ist. Diese Bestimmung ist sehr unklar, und bedarf der Ergänzung. Wahrscheinlich muß es heißen: mit dem 9. Teile der Erträgnisse [!] aus dem Wasser, und man wäre versucht, an die Erträgnisse aus der Fischerei auf der Weser zu denken, welche von Alters her und auch in den folgenden Jahrhunderten hier eifrig betrieben wurde. Führt doch jetzt noch der östliche Teil der Altstadt den Namen Fischerstadt, ein Zeichen, daß dort in vergangenen Zeiten vorzugsweise die Fischer des Ortes und zwar in größerer Anzahl gewohnt haben müssen.
Es liegt zweitens aber auch die Möglichkeit vor, daß es sich bei dem „neunten Teil des Wassers“ nicht um die Erträgnisse aus der Weserfischerei, sondern um die Einkünfte aus der Schiffahrt, d. h. dem Fährbetriebe an der nahen, schon zu Karls des Großen Zeiten bekannten Furt handelte. Sei dem, wie ihm wolle, in jedem der beiden möglich erscheinenden Fälle ist Dietr. von Ekessen sehr wahrscheinlich als bischöflicher Lehnsmann oder Pächter dieser Einnahmen zu betrachen. Die vierte Gabe an die Kapelle bestand aus einer halben Hufe, welche zum Hofe der Kurie, d. h. dem Herrenhofe oder bischöflichen Hofe in Hokelve gehörte und von der der Priester, der dort die Messe zu lesen hatte, jährlich 6 Schilling
[Fußnote: Der Schilling = 12 Denare oder (Silber-) Pfennige, galt als Rechnungsmünze; denn er wurde noch nicht geprägt. Der Pfennig wertete 11,45 d, der Schilling 12 x 11,45 d, = 137,4 d, 6 Schilling also 824,4 d. Stange, Geld- und Münzgeschichte des Bistums Minden, S. 40]
erhalten sollte, jedoch unter der Voraussetzung, daß der Mutterkirche des Ortes (St. Martini in Minden) dadurch kein Nachteil erwachse. Diesen Hof trug Dietr. von Ekessen zu Lehen. Wenn die Nachricht bei Schroeder (Gesch. d. Bistums und der Stadt Minden S. 136), nach welcher er die Kapelle und 1/2 Hufe in Hokelve an den Bischof zurückgab, richtig ist, so muß er auch Pfründeninhaber jener gewesen sein. Schließlich vertauschte er sein angeerbtes (oder Heirats-?) Gut mit dem Landbesitz des Priesters, nur daß er einen Zwischenraum (ebenso viel Raum) an der anderen Seite des Priesterhauses zurückließ. Darnach müssen die Grundstücke des letzteren diesseits und die des ersteren jenseits des genannten Hauses gelegen haben. Weshalb Dietr. von Ekessen diesen Austausch vornahm, ergibt sich aus der Urkunde nicht; vielleicht wollte er seine Besitzung dadurch abrunden.
Wo die „Capella S. Crucis“ gestanden hat, läßt sich mit Sicherheit nicht angeben, aller Wahrscheinlichkeit nach auf dem jetzigen alten Friedhofe, dem höchsten Punkte mitten im „weitläufftig“ gebauten Hokeleve, und zwar da, ungefähr wo wir auf dem Merianschen Stiche die 1819 abgebrochene Johanniskirche erblicken. Wie lange die Kapelle als solche bestanden hat und um welche Zeit die Johanniskirche erbaut worden ist, wissen wir nicht. Sie muß aber schon in der 1. Hälfte des 14. Jahrhunderts vorhanden gewesen sein; denn zum Jahre 1345 wird Hokelve als Pfarrei (Westf. Urk.-Buch, Register 586). Hiermit könnte übereinstimmen, was ich irgendwo gelesen habe, daß nämlich Bischof Gerhard II. nach der Gründung der Neustadt Petershagen die Pfarrkirche vom Lande dorthin verlegt habe. Wenn dem so wäre, dann müßte von dieser Zeit ab die Johanniskirche den Charakter einer Nebenkirche, vielleicht einer Begräbniskirche, den sie in den folgenden Jahrhunderten tatsächlich hatte, erhalten habe.