1885 | Die Einweihung des Seminars

Bericht über den Neubau

Die sechzehn erhaltenen Zeichnungen des Seminars Petershagen im Architekturmuseum Berlin belegen den stilbildenden Einfluss dieses Gebäudetyps. Architektur und Raumplan folgten einem ministeriellen ­Normalentwurf. Der verantwortliche Regierungsbaumeister Vollmar betreute unter anderem auch ­Regierungs- und Universitätsbauten in Münster.

Bericht über den Neubau des Lehrerseminars in Petershagen (1886)

[Zitatbeginn] Im November vorigen Jahres [18.11.1885] ist der im Frühjahr 1884 begonnene Neubau des Lehrer-Seminars zu Petershagen a./d. Weser, Regierungs-Bezirk Minden, vollendet und der Schulbehörde zur Benutzung überwiesen worden. Das Gebäude, welches zu Unterrichtszwecken für 90 Seminaristen erbaut ist, von welchen 60 in einem vorhanden alten Gebäude [Vethake‘scher Burgmannshof] internirt werden sollen und 30 in der Stadt wohnen, liegt von allen Seiten frei, und hat eine oblonge [rechteckige] Grundform von 41,24_m Länge und 16,0_m Breite mit vorspringendem Mittel-Risalit [Vorsprung] an der einen und einem Treppenhaus-Vorbau an der anderen Langseite erhalten. Ueber einem gewölbten Souterrain erheben sich [drei] Geschosse mit Mittelcorridoren, an welchen sich rechts und links die Unterrichtsräume anschließen. Im I. Stock befinden sich zudem noch die Wohnung des Directors und im II. Stock die des ersten Lehrers, für welche in einem Ausbau an der nördlichen Schmalseite eine besondere Treppe angelegt ist. Das Souterrain enthält einen großen Speisesaal für 60 Seminaristen, außerdem die Wohnung des Oeconomen mit den nöthigen Küchen- und Kellerräumen. Die Corridore und Treppen sind auf eisernen Trägern überwölbt; das Dach ist mit Schiefer gedeckt. Die Heizung geschieht mittelst eiserner und Kachelöfen.

Die Gesammtkosten des in Ziegelrohbau und unter Anwendung einfacher Formen ausgeführten Bauwerks belaufen sich auf rot. [rotundus, lat. „rund“] 125.000 M[ark]. Mit der Ausführung des Baues war der Herr Kreisbauinspector Harhausen in Herford beauftragt, dem zur speciellen Bauleitung der Regierungs-Baumeister Vollmar beigegeben war. 

Petershagen, d[en] 1. April 1886.
Der Regierungs-Baumeister. gez. Vollmar. 
Der Königliche Kreis-Bauinspector. gez. Harhausen.
[Zitatende]

Preußisches Lehrerseminar | Aufbau und Raumplan

Das Königliche evangelische Schullehrer-Seminar Petershagen gehörte neben den Instituten in Büren, Hilchenbach, Soest und Warendorf zum Kernbestand der fünf älteren Lehrerseminare in Westfalen. Im Verlauf des 19. Jahrhunderts kamen sechzehn weitere Institute hinzu. Nur vier der Ausbildungsorte verfügten wie das Seminar in Petershagen über ein Internat. Nach der Gründung des „Kleinen Seminars“ im Jahr 1792, das im Zweiten Pfarrhaus unter der Leitung des reformpädagogischen Theologen Georg Christoph Friedrich Gieseler (1760-1839) tagte, folgten dieser Einrichtung drei Standorte in der Altstadt von Petershagen. 

Der Seminarneubau an der Hauptstraße, der nach zweijähriger Bauzeit am 18. November 1885 eingeweiht werden konnte, folgte der behördlichen Tendenz, Seminargebäude aus dem Stadtzentrum heraus auf ein größeres Grundstück am Ortsrand zu verlegen und betont repräsentativ zu gestalten. Diese Möglichkeit bot sich bereits mit dem Ankauf des Vethake’schen Burgmannshofes, der am 4._Oktober 1850 für 9.300 Taler in den Besitz des preußischen Staates überging und das Seminar bis 1885 beheimatete.

Die Seminarneubauten des Deutschen Kaiserreiches folgten dem Muster eines vom preußischen Ministerium für öffentliche Arbeiten entwickelten Normalentwurfes. Einem mehrgeschossigen lang gestreckten Hauptbau schlossen sich sym­me­trische Flügel als Unterkunft für die Seminaristen an. Dieses Element verwirklichte man mit der Errichtung des Nordtreppenhauses nur ansatzweise, da ein gesondertes Logierhaus zur Verfügung stand. Das Raumprogramm sah es vor, dass die Dienstwohnungen des Direktors und des Oberlehrers zusammen mit den Arbeitszimmern der Lehramtskandidaten im Seminargebäude untergebracht waren. Nach der Auflösung der Stadtschule 1876 nahmen alle Petershäger Kinder am Elementarunterricht in der Seminarübungsschule teil. Diese Einrichtung war nach 1885 im Erdgeschoss des Lehrerseminars untergebracht.

Einige Lehramtskandidaten verglichen die spartanischen Züge der Seminare mit Kasernen, andere formulierten: „Aufsteigend aus dem satten Grün der prächtigen Bäume des weiten Parks wirkte das imposante Gebäude wie ein Schloß, eine Königspfalz, etwas Großes, sehr Beeindruckendes, das man staunend bewunderte und das einen stolz darauf sein ließ, hier seinen Studien obliegen zu dürfen.“

Bildquelle: Architekturmuseum Berlin, Inv. Nr. 33157 Aufriss Vorderansicht 1:100. Mit freundlicher Genehmigung.