1647 | Matthäus Merian - Topographia Westphaliae

Kaum eine ortsgeschichtliche Darstellung der jüngeren Zeit verzichtet darauf, eine Analyse des Merian’schen Kupferstichs von Petershagen als schmückendes Beiwerk anzufügen. Wie reizvoll diese Aufgabe auch immer sein mag, sich der zweitältesten bildlichen Darstellung Petershagens zu widmen – der Merian’schen Abbildung geht noch eine Miniatur (Johannes Krabbe, Chorographia 1591) voran -, so pflegen doch diese Ausführungen hinsichtlich der Gebäudezuordnung gelegentlich nicht wenig fehl zu gehen.

Bis heute gilt die Topographia Germaniae als eines der Hauptwerke des deutsch-schweizerischen Verlegers und Kupferstechers Matthäus Merian (geb. 22.09.1593 in Basel; gest. 19.06.1650 in Bad Schwalbach). In der Zeit von 1642-1654 veröffentlichten Merian (und seine Nachfolger) vorerst sechzehn Bände der Topographia Germaniae. Es folgten bis 1688 weitere vierzehn Bände, insbesondere mit Darstellungen europäischer Gebiete. Das vollständige Werk umfasste zuletzt 30 Bände, die 92 Karten sowie 1486 Kupferstiche mit 2142 Einzelansichten, Stadtplänen, Landkarten und einer Weltkarte enthielten. Wir verdanken Merian als Kupferstich oder Radierung die ersten zuverlässigen Ansichten von Städten, Orten, Burgen, Schlössern und Klöstern. Die Topographia war daher das größte Verlagswerk seiner Zeit und richtungsweisend für die geographische Illustration. Merian schuf die Topographia gemeinsam mit dem protestantischen Reiseschriftsteller und Geographen Martin Zeiller (1589-1661), der die erläuternden Texte verfasste. Zeiller stützt sich hierbei auf eigene Werke sowie auf die Sponheimer Chronik des Johannes Trithemius (1462-1516), die Cosmographia von Sebastian Münster (1489-1552) und auf lokale Quellen.

Der Petershäger Kupferstich ist dem achten Band der Topographia Germaniae, der so genannten Topographia Westphaliae (Westfalen, 1647 und 1660) entnommen. Es ist bekannt, dass Matthäus Merian seine 16 Bände wohl chronologisch geordnet, nicht aber die noch heute gebräuchliche Nummerierung, die auf das Hauptregister von 1672 zurückgeht, vorgenommen hat. Angaben zu Petershagen finden wir in der Topographia Westphaliae (siehe Bildanhang unten) auf der Seite 89 (Ortsbeschreibung durch Martin Zeiller, der hier aber dem Cronicon Saxoniae des Spätreformators David Chytraeus (1530-1600) folgt), der Seite 97 (Mittelregister) sowie der Seite 146 (drei Stiche: a) „Nieuhuys Bentheimisch“ (Neuenhaus bei Nordhorn“, b) „Petershagen“ (Petershagen) und c) „Reheda“ (Rheda-Wiedenbrück)). 

Es sei am Rande vermerkt, dass es sich bei den in der wilhelminischen Zeit beliebten Merian-Postkarten, um Collagen handelt, die Kupferstich und Ortsbeschreibung miteinander kombinieren. Die Kupferstiche in den ersten neun Bänden der Topographia Germaniae (1642-1648), darunter diejenigen der Topographia Westphaliae (Band 8, 1647), gehen zum größten Teil auf eigenhändige, bereits seit Jahrzehnten gesammelte Zeichnungen Merians zurück, die er hier nach den Erfolgen von Theatrum europaeum (1635) und Archontologia cosmica (1638), systematisch zusammenfasst. Er beschäftigte in Frankfurt weitere Topographen und Kupferstecher, darunter seine Söhne Matthäus (den Jüngeren) und Caspar Merian. Mehr als fünfzig Künstler arbeiteten an der Topographia mit.

Die Petershäger Stadtansicht in der Topographia Westphaliae dokumentiert den Zustand der Stadt vor den Zerstörungen des Dreißigjährigen Krieges, und ist daher vorrangig von kunsthistorischem Wert. Einer Erläuterung Merians zufolge repräsentieren seine Darstellungen oft den idealen Bauzustand eines „goldenen Zeitalters“, der zur Zeit der Drucklegung nicht mehr bestand. Bereits ein kurzer Blick auf den Kupferstich zeigt, dass Merian Bildelemente aus kompositorisch-künstlerischen Überlegungen heraus verwendete, die der Zeitgenosse des Jahres 1647 nicht mehr vorfand. Hierzu gehören vornehmlich Weserbrücke (bereits zerstört beim Eisgang im Winter 1565) und Flusslauf. Ebenso ist davon auszugehen, dass Details der Gebäudedarstellung eher künstlerischen, denn naturalistischen Gegebenheiten entsprechen. So verbietet es sich meines Erachtens, einzig auf Grund der Merian‘schen Darstellung eine Veränderung des Flussbettes zu postulieren, wie es die ältere Ortsheimatpflege mit Vorliebe getan hat. Vielmehr kommt die Darstellung perspektivischen Gepflogenheiten nach, die die Blicke des Betrachters auf den goldenen Schnitt im rechten Bilddrittel lenken. Noch im 19. Jahrhundert ragte aber das insgesamt flachere Weserbett näher an die Schlossmauern, aber auch an die Altstadt heran. Die heutige Ansicht stellte sich erst durch Aufsandungen im Bereich der ursprünglichen Öspermündung ein. Mit Sicherheit darf davon ausgegangen werden, dass das Weichbild Petershagens, d.h. die äußere und innere Erscheinungsform des städtebaulichen Ensembles, die Silhouette mit ihren prägenden Elementen, Kirchen, Türmen und innerörtlichen Objekten den baulichen Gegebenheiten in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts entspricht, zumal der Befund mit Quellen des 18. und 19. Jahrhunderts in Einklang gebracht werden kann.

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Der Kupferstich ist dem achten Band der „Topographia Germaniae“, der so genannten „Topographia Westphaliae“ (1647 und 1660) entnommen. Die Ansicht dokumentiert den Zustand der Stadt vor den Zerstörungen des 30-jährigen Krieges. Einer Erläuterung Merians zufolge repräsentierten seine Darstellungen oft den idealen Bauzustand eines „goldenen Zeitalters“, das bereits vergangen war, als die Stadtansichten im Druck erschienen. Von links, Süden: (1) Altstädter Johannes-Kirche auf der Parzelle des ehemaligen Friedhofs. Der Johannes-Kirche ging die Kapelle „Zum Heiligen Kreuz“ (1243) in Hockeleve voran. Sie wurde später als Begräbniskapelle verwendet und 1819 abgetragen. (2) Neustädter-, Haller- oder Halle‘sches Stadttor (nach der westlich gelegenen Flurbezeichnung Haller Heide): Westeingang zur Neustadt mit vorgelagerter Zugbrücke über die künstlich als Schutzgraben (Gerhard II.) vertiefte Ösper. Die beiden Ratskeller im Tor dienten den Neustädtern als Rathaus. Es wurde mehrfach zerstört und wieder aufgebaut (1553/54, 1705/07, 1798). Dem Haller Tor war seit 1565 westlich die Vorstadt, die so genannte Beutelei, vorgelagert. (3) Petrikirche. In der 1362 entstandenen Neustadt wurde im Folgejahr die Petrikirche erbaut, die in ihrer heutigen Gestalt ein Bauwerk aus den Jahren 1615/18 ist. Den Turm der heutigen Kirche errichtete man erst 1732. Nach wechselvoller Geschichte im 16. Jahrhundert blieb von der ursprünglichen

Stadtkirche nur noch der Turm übrig, der 1615 abgebrochen wurde. Da zur Zeit des Druckes der Topographia (1647) die „Welsche Haube“ des heutigen Kirchturms noch nicht errichtet war, ist davon auszugehen, dass Merian die Silhouette in ihrem Zustand vor 1615 abbildete, was hinsichtlich seiner sich über drei Jahrzehnte erstreckenden Sammlungstätigkeit in Betracht gezogen werden darf. Hierfür spricht auch die Abbildung der bereits 1564/65 durch Eisgang zerstörten (4) Weserbrücke (erbaut 1560). Andernfalls kann die Darstellung des Kirchturms (3) nur als ergänzende Illustration der Situation um 1647 verstanden werden. (5) Rondell und Torhaus. (6) Reformierte Schlosskapelle. Bis 1674 Sitz des kurfürstlichen Hofpredigers. Der so genannte „Erker Franz II.“ (7) existiert heute nicht mehr. (8) Bischof Hermann (1566-1582) baute die Schlossanlagen weiter aus und ließ auf der Vorburg den „Reisigen Stall“ erbauen, ein massives Gebäude, das der Unterbringung der reisigen Knechte diente. 1553 brannte Burgkommandant Plato von Helversen Alt- und Neustadt im Rahmen einer Fehde zwischen Heinrich von Braunschweig und dem Bischof nieder. Die Ansicht des Schlosses entspricht dem Zustand nach der Überbauung der ursprünglichen Burg durch Franz II. von Waldeck.

Uwe Jacobsen (2006)

Merian Ortsbeschreibung
Ortsbeschreibung durch Martin Zeiller, der hier dem Cronicon Saxoniae des Spätreformators David Chytraeus (1530-1600) folgt.